Liebesleben eines Musikers

Immer wenn ich sie sah oder ihre Stimme hörte, begann ich zu träumen. Ich war noch keine 10 Jahre alt. So gerne hätte ich sie mal an meine Wange gedrückt und ihr über die empfindlichste Stelle ihres Körpers gestrichen, damit sie mir das Geheimnis ihrer Schönheit preisgab. Seit ich Yehudi Menuhin auf ihr mit Mozarts Violinkonzert gehörte hatte, war ich unsterblich in sie verliebt – ich wollte unbedingt Geige spielen lernen.

Leider war das gar nicht so einfach, denn im Konservatorium gab es nur wenige Plätze und eine lange Warteliste. Als ich wieder einmal eine Geige im Fernsehen sah, beschloss ich, mir aus Pappe und Schnüren selber eine zu basteln. Sie klang nicht ganz so gut wie die im Fernsehen, doch meine Eltern erzählten den Leuten im Konservatorium davon – und ich bekam endlich einen Platz in der Violinklasse. Ich war überglücklich.

Doch leider verflog die anfängliche Euphorie schnell. Irgendwie passten wir nicht so gut zueinander, wie ich dachte. Es tat mir immer weh, mit den Fingerkuppen die Saiten zu greifen, auch der Bogen machte nicht immer das, was ich wollte. Außerdem war es auf Dauer ziemlich unangenehm, sich die Geige unters Kinn zu klemmen.

Zeitgleich zum Violinunterricht hatten mich meine Eltern auch zum Klavierrunterricht angemeldet. Klavier, das braucht man ja immer ein bisschen, dachten sie, schadet nicht, wenn er das auch ein bisschen kann. Schnell merkte ich jedoch, dass ich an dieser Nebenbuhlerin viel mehr Gefallen fand als an meiner einstigen großen Liebe. Unsere Beziehung machte schnell Fortschritte. Doch nicht jeder sah das nur mit Wohlgefallen.

Eines Tages, mitten im Unterricht, fragte mich mein Klavierlehrer – den ich übrigens bis heute sehr schätze – plötzlich: „Du hast doch bestimmt noch einen anderen oder? Also Klavierlehrer? Das kannst du dir doch nicht alles selbst beigebracht haben.“ Und ich so: „Nee, ich hab keinen anderen Lehrer. Ich hör mir nur viel Musik an und versuche, die großen Meister nachzuahmen.“ Aber er ließ nicht locker: „Das glaub ich dir nicht. Du hast bestimmt noch irgendwo anders Unterricht.“ Da gab ich schließich nach. „Naja, eine befreundete Musikstudentin besucht uns manchmal und gibt mir dann ein paar Tipps.“ Er: „Aha! Wie oft kommt sie denn?“ Ich: „Naja, vielleicht alle drei Monate einmal.“ Er: „Sie kommt bestimmt öfter.“ Ich hätte fast geweint.

Aber ja, wo Liebe ist, sind auch Tränen nicht weit.